7. Juli 2000

TIBET INFORMATION NETWORK

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China zieht sich aus dem Weltbankprojekt zurück

Auf die intensiven Debatten in der Bank gestern und heute hin lehnte China die Bedingungen der Weltbank ab und zog seinen Antrag auf einen US$40 Mio. Kredit für ein kontroverses Projekt, das die Umsiedlung von fast 58.000 armen, zumeist chinesischen Bauern in einen traditionell tibetischen und mongolischen Landstrich der Provinz Qinghai vorsieht, zurück. Die chinesische Regierung verkündete, sie würde nun die vorgesehene Umsiedlung und Entwicklung in Qinghai ohne die Finanzierung der Weltbank alleine durchführen. Die Entscheidung, die wohl auch die Politik anderer globaler Finanzinstitutionen China gegenüber beeinflussen wird, bedeutet, daß keine Weltbank-Gelder für ein Projekt, das genau Pekings Zielen der demographischen Umstrukturierung und Entwicklung in tibetischen Gegenden entspricht, verwendet werden. Die Entscheidung wird wahrscheinlich auch andere internationale Organisationen davon abhalten, die Verlegung von Nichttibetern in tibetische Gebiete zu unterstützen und könnte sich noch auf andere Angelegenheiten indigener Volksgruppen auswirken.

Es wird angenommen, daß die Entscheidung Chinas über den Verzicht auf die Bankfinanzierung für die Qinghai Komponente des Projektes zur Linderung der Armut in Westchina (CWPRP) gestern Abend von dem chinesischen Premierminister Zhu Rongji auf eine beinahe siebenstündige intensive Diskussion in der Weltbank und im Pekinger Finanzministerium hin getroffen wurde. Die Weltbankleitung unter Führung von Präsident James Wolfensohn hatte den Bankdirektoren eine Kompromißlösung vorgeschlagen, die einige der ernsten Vorwürfe der Untersuchungskommission gegen die Bank entkräftigen sollte. Die von Wolfensohn und der Bankleitung an dem Projekt vorgeschlagenen Änderungen hätten etwas über $2 Mio. gekostet und zu einer weiteren Verzögerung von 15 Monaten geführt. Ein gespaltener Direktorenrat war schließlich nicht bereit zu einer Billigung des Projektes, ohne 15 Monate später wieder zusammenzutreten, um zu überprüfen, wie die vorgeschlagenen Änderungen verwirklicht wurden. Diese weitere Verzögerung bis zu einer Neubewertung war für China eindeutig unannehmbar. Ein Schlüsselpunkt in dem Bericht der Untersuchungskommission lautete, es sei sinnlos, Projekte durchzuführen, ehe eine Einschätzung dieser Projekte vorgenommen wurde.

Daß China sich von der Weltbankfinanzierung des Projektes distanziert, zeigt die Wirkung, welche der Bericht der drei Experten, welche die Projektgegend in Qinghai im vergangenen Jahr besuchten, um zu untersuchen, ob die Bank ihre Regeln hinsichtlich dieses Projektes einhält, sowohl auf die Bank als auf Peking machte. Das Untersuchungsteam kam zu dem Schluß, daß die Projektplanung und Beurteilung gegen sieben der grundlegenden Direktiven und Richtlinien der Bank verstoßen habe, darunter Verfahrensrichtlinien über Umwelt, indigene Völker und Zurverfügungstellung von Information. Der Bericht wies auf die Uneinigkeit innerhalb der Bank über entscheidende Fragen der Politik und Verfahrensweise hin, was sich auf die Beziehung der Weltbank zu China in Zukunft auswirken könnte. Der Bericht setzte auch eine wichtige Bezugsgrenze, welche die Bank nun nicht unterschreiten kann, besonders was die Einhaltung ihrer Richtlinien und ihrer Geschäfte mit China angeht. Die Prüfungskommission stellte vor allem die Tendenz der Bankleitung heraus, von ihrer erklärten Politik und Funktionsweise abzuweichen und in bezug auf China, das von Weltbankmitarbeitern als "anders" als andere Länder beschrieben wurde, auf einen "Präzedenzfall" zurückzugreifen. Daß der Rat der Exekutivdirektoren heute die Kritik des "Inspektionsteams" vorbehaltlos annahm, beweist, daß er sich der Ernsthaftigkeit der von den Experten hervorgebrachten Vorwürfe bewußt ist, und ebenso einsah, daß die Glaubwürdigkeit der Bank in Gefahr gerät, wenn diese Kritikpunkte ignoriert werden.

Der chinesische Exekutivdirektor Zhu Xian sagte in einer vorsichtig formulierten Presseerklärung, die von der Bank heute veröffentlicht wurde: "China nimmt keine Bedingungen an, die über die ursprünglichen Empfehlungen der Bankleitung, die zwischen ihr und meiner Regierung vereinbart wurden, hinausgehen.... Es ist für meine Regierung untragbar, daß andere Aktionäre der Bank darauf bestehen, zusätzliche über die Empfehlungen der Bankleitung hinausgehende Bedingungen aufzuerlegen - insbesondere, daß das Projekt, welches bereits letztes Jahr gebilligt wurde, erneut zur Entscheidung zu dem Rat zurückkommen soll... Wir bedauern, daß wegen der politischen Opposition einiger Aktionäre die Weltbank nun nach so vielen Bemühungen der Weltbankleitung und ihrer Belegschaft eine gute Gelegenheit verloren hat, einigen der ärmsten Leute in China, wahrscheinlich sogar auf der Erde, zu helfen."

Der chinesische Exekutivdirektor Zhu Xian bestätigte, daß China das Projekt nun selbst mit seinen eigenen Mitteln durchführen wird, was eine dramatische Auswirkung auf die einheimische tibetische und mongolische Bevölkerung in der Projektzone und darüber hinaus haben könnte. Die Aussage des chinesischen Exekutivdirektors, daß China das Projekt "auf seine eigene Weise" verwirklichen wird, läßt schließen, daß die Umsiedlung in noch viel größerem Ausmaß als in dem Plan der Weltbank vorgesehen ist, vorgenommen wird. Die Zahl der Neusiedler war schon von 100.000 auf unter 60.000 reduziert worden, nachdem die Bank an der Projektplanung beteiligt wurde. Die beabsichtigte Einwanderung in den Distrikt Dulan (Tulan auf Tibetisch) in der Mongolisch und Tibetisch Autonomen Präfektur Haixi (tibetisch: Tsonub), Qinghai, würde die Bevölkerung dort mehr als verdoppeln. Der tibetische und mongolische Bevölkerungsanteil des Distrikts könnte nun von den Chinesen noch mehr ausgedünnt werden. Die geplanten neuen Städte werden jede fünf mal so viele Einwohner wie Xiangride, die der Hauptbewässerungszone nächste Kleinstadt, haben, was zu weiterer Entwicklung und möglicherweise dem vermehrten Hereinströmen von Siedlern in die Region führen wird. Der chinesische Weltbank Direktor Zhu Xian stellte auch fest, daß die "Entwicklungseffektivität" der Weltbank durch ihr jetziges Handeln gefährdet worden sei. Diese Erklärung setzt die Vorstellung des Bevölkerungszustroms mit dem ersten Schritt zur Entwicklung in Qinghai für die chinesische Regierung gleich.

Die chinesische Regierung hat schon früher betont, das von der Weltbank vorgeschlagene Umsiedlungsprojekt in Distrikt Dulan sei ein passendes Modell für die weitere Entwicklung in der Provinz. Die Finanzierung durch die Weltbank hätte das Ziel der Provinzregierung erfüllt, eine landwirtschaftliche Basis und Infrastruktur in der Gegend aufzubauen, um die reichen Bodenschätze von Qinghai (Erdöl, Erdgas, Asbest, Salz, Kalium, Blei und Zink) besser auszubeuten. Der Vizegouverneur von Qinghai Liu Guanghe sagte der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua am 22. April 1998: "Eine Kombination der im östlichen Teil der Provinz zur Verfügung stehenden Arbeitskraft mit den natürlichen Ressourcen in ihrem westlichen Teil würde zur Entwicklung Qinghais beitragen." Die Nachrichtenagentur erwähnte in dem selben Artikel, daß Bevölkerungszuzug ein unerläßlicher Teil dieser Entwicklung sei: "Seit 1996 sind Bauern von den trockenen und öden östlichen Bergregionen in das Qaidam Becken eingewandert, um dort eine 'Oasen-Landwirtschaft' aufzubauen und ein besseres Leben zu führen." Die chinesische Regierung und die Behörden von Qinghai begannen durch die Verlängerung einer Straße nach Distrikt Dulan und den Bau von Bewässerungsanlagen bereits mit den Vorbereitungen für das Umsiedlungsprogramm.

Auf das Erscheinen von TIN News Update vom April 1999, in dem die Auswirkungen des Armutslinderungsprojektes ans Licht gebracht wurden, folgte eine größere internationale Kampagne gegen die Qinghai Komponente des CWPRP. Der Weltbankrat entsprach einer Bitte von International Campaign for Tibet nach einer vollen Untersuchung des Projektes, die dann von dem Inspektionsteam durchgeführt wurde. Die heutige Entscheidung könnte China zu einer rigoroseren Art der Durchführung des Projektes und möglicherweise zu einer noch härteren Handhabung der ganzen Sache der Entwicklung und Umsiedlung in tibetische Gebiete veranlassen.